Gedenktag 90 Jahre Bücherverbrennung

Gedenktag anlässlich des 90. Jahrestags der Bücherverbrennung am 10.05.1933

Es findet um 11.00 Uhr eine offene Lesung aus „verbrannten“ Büchern statt. Lesen werden Uli Boettcher, Jutta Klawuhn, OB Clemens Moll, Prof. Dr. Ricarda Freudenberg.

Um 14.00 Uhr findet ein Symposium im Festsaal der PH Weingarten statt. Teilnehmen werden Lukas Barth, Dr. Andreas Sommer und Prof. Dr. Thomas Lischeid.

Hier finden Sie den Flyer und das Plakat zu den geplanten Veranstaltungen.

Hier die Ankündigung im Radio bei SWR4

Im Juni findet zudem eine Exkursion an die KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg in Ulm statt.

 

Das Projekt wurde aus Mitteln des Programms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

Vor 90 Jahren: Bücherverbrennungen durch Nationalsozialisten

1. Bücherverbrennungen als Teil der „Nationalen Revolution“

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 fegten die Nationalsozialisten in einem schnellen, lawinenartigen Prozess, den sie selbst „nationale Revolution“ nannten, die Freiheitsrechte, die Demokratie mit Gewaltenteilung und den Rechtsstaat der Weimarer Republik hinweg. Gedankliche Grundlage dieser diktatorischen Politik mit den Mitteln der Scheinlegalität, der Willkür und Gewalt war die NS-Ideologie mit den Elementen Volksgemeinschaft, Führerprinzip, Rassismus, Sozialdarwinismus und aggressivem Nationalismus.
Insofern war es logisch, dass diese Gedanken als Basis der NS-Politik propagiert und gegensätzliches Gedankengut „ausgerottet“ werden musste. Diese Aufgabe übernahm vor allem die nationalsozialistisch gesinnte akademische Jugend mit ihren Aktionen zur Verbrennung von Büchern, deren Inhalt nicht den Werten der NS-Ideologie entsprach.
Die Bücherverbrennungen in Deutschland von März bis Oktober 1933 waren  von der Deutschen Studentenschaft ( DSt ) , dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund ( NSDStB ), der SA, der Hitlerjugend und der NSDAP geplante und inszenierte Aktionen, bei denen Studenten, Professoren und Mitglieder von NS-Parteiorganen die Werke von Autoren mit Gedankengut, das dem Weltbild der NSDAP widersprach , ins Feuer warfen. So sollte zum Ausdruck kommen, „dass in Deutschland die Nation sich innerlich und äußerlich gereinigt hat“. ( Goebbels am 10. Mai in Berlin )

2. Bücherverbrennungsaktionen an Universitäten im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“

Die größte Bücherverbrennungsaktion mit ca. 70 000 Zuschauern war die die vom Nationalsozialistischen Studentenbund ( NSDStB ) am 10. Mai 1933 auf dem ehemaligen Berliner Opernplatz organisierte Aktion, die auch in ähnlicher Form an 18 weiteren deutschen Universitätsstandorten ablief. Sie war der offizielle Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ ( AwuG ), mit der kurz nach der Machtübernahme an den Universitäten die systematische Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller und Wissenschaftler begonnen hatte ( Thesenblatt mit 12 Thesen wider den undeutschen Geist siehe auf Extra-Blatt ). Ziele waren die Eroberung der Universitäten für den Nationalsozialismus, eine Wende in Richtung einer NS-Erziehung und einer NS-Kultur.
Bei der Aktion in Berlin wurden nach einem Fackelzug von Studenten, Professoren, SA und SS und der Hitlerjugend zum Opernplatz und dem Entzünden des dortigen Scheiterhaufens zuerst einzelne Bücher ins Feuer geworfen. Dabei wurden standardisierte „Feuersprüche“ mit den  Namen der verfemten Autoren und dem Grund der Verbrennung ihrer Werke gerufen. ( siehe Extra-Blatt ). Danach wurden die von den Studenten seit dem 26. April aus privaten und öffentlichen Bibliotheken zusammengetragenen Bücher bündelweise von Lastwägen gehoben, von einer Menschenkette zum Scheiterhaufen weitergereicht und ins Feuer geworfen. So wurden ca. 25 000 Bücher „undeutschen Geistes“ von beispielsweise Erich Kästner, Karl Marx, Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Sigmund Freud und vielen anderen – insgesamt 94 Autoren( Namen siehe auf Liste nebenan )  verbrannt. Dazu gehörten neben den Werken von Autoren jüdischer Herkunft und Werken mit demokratischen, antimilitaristischen, pazifistischen oder marxistischen Inhalte auch moderne Literatur mit sozialer und Großstadtthematik,Werke mit Kritik an der deutschen Kriegspolitik im Ersten Weltkrieg, Werke, die eine freie Sexualmoral propagierten oder sich wissenschaftlich mit den Themen Sexualität und Moral beschäftigten und Werke, die nicht dem NS-Ideal der „Heimatkunst“ entsprachen.
Viele der verfemten Autoren waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Ausland. Erich Kästner stand unter den Zuschauern und hörte mit an, wie sein Name gerufen und seine Werke dem Feuer übergeben wurden.
Die Aktion wurde vom Deutschlandsender direkt übertragen. So hörten viele Menschen die folgenden Worte des Propagandaministers Joseph Goebbels: „Das Zeitalter eines überspitzen jüdischen Intellektualismus ist zu Ende gegangen, und die deutsche Revolution hat dem deutschen Wesen wieder die Gasse freigemacht. In den letzten vierzehn Jahren, in denen ihr, Kommilitonen, in schweigender Schmach die Demütigungen der Novemberrepublik über euch ergehen lassen mußtet, füllten sich die Bibliotheken mit Schund und Schmutz jüdischer Asphaltliteratur… Revolutionen, die echt sind, machen nirgends Halt. Es darf kein Gebiet unberührt bleiben… Deshalb tut ihr gut daran, in dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Hier sinkt die geistige Grundlage der Novemberrepublik zu Boden…. Das Alte liegt in den Flammen, das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens wieder emporsteigen.“

3. Andere Bücherverbrennungsaktionen, z.B. auch in Oberschwaben

Neben den Aktionen der Deutschen Studentenschaft im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“ – im heutigen Baden-Württemberg in den Universitätsstädten Heidelberg, Stuttgart, Tübingen und Freiburg –  fanden von März 1933 bis Oktober 1933 reichsweit mindestens 70 weitere Bücherverbrennungsaktionen statt, die oft von der örtlichen Hitlerjugend organisiert wurden. In Baden waren Orte solcher Aktionen Offenburg, Pforzheim, Gengenbach, Haslach, Hausach, Schiltach, Wolfach.
In Oberschwaben veranstaltete die Hitlerjugend Ulm, Unterbann 27, am 15. Juli 1933 – anlässlich der „Eingliederung verschiedener übergetretener Gruppen in die Hitlerjugend“ mit dem Ziel einer „einigen deutschen Jugend“ – einen Propagandamarsch durch Ulm mit anschließender Verbrennung „von volksfeindlichen Flaggen und volksverderbender Schund- und Schmutzliteratur“ auf dem Münsterplatz, „um die junge Generation mit einem neuen, edleren Geist zu erfüllen.“  Eine weitere Bücherverbrennung fand am 22. Juli in Laupheim auf einem Hitler-Jugend-Treffen statt.

4. Autoren

Die Verfolgung der indizierten Autoren hatte schon vor den Bücherverbrennungen begonnen. Viele Schriftsteller, aber auch andere Künstler und Wissenschaftler, erhielten in der Folge Arbeits- und Publikationsverbot, verschwanden aus den Bibliotheken und aus dem Schulunterricht und wurden auch physisch vernichtet. Sie starben im KZ, an den Folgen von Haftbedingungen oder wurden hingerichtet ( wie z.B. Carl von Ossietzky), wurden ausgebürgert ( wie z.B. Tucholsky ), zur Flucht ins Exil gezwungen ( wie z.B. Arnold Zweig ), Viele verzweifelten und nahmen sich in der Emigration das Leben, so z.B. Stefan Zweig.

5. Reaktionen, Proteste im Ausland

In Deutschland zeigten sich die meisten Zeitungen begeistert. Einen ironischen Protest gegen die Bücherverbrennungsaktionen leistete sich dagegen der Schriftsteller Otto Maria Graf, der sich durch seine Flucht von München nach Wien ( vorerst ) in Sicherheit gebracht hatte. Im Entsetzen, dass sein Werk nicht nur nicht verboten, sondern sogar teilweise auf „weißen Listen“ empfohlen wurde ( „Vergebens frage ich mich, womit ich diese Schmach verdient habe?“ ), forderte er in einem von der Wiener Arbeiterzeitung am 12. Mai abgedruckten Aufruf „Verbrennt mich!“ Schon am 27. April hatte es in den USA Proteste gegen die geplanten Bücherverbrennungen mit Appellen an die deutschen Studenten gegeben. Am 10. Mai kam es zu einer Demonstration in New York, an der sich hunderttausende Privatpersonen, Abgeordnete und andere Funktionäre aus Kirchen und Institutionen beteiligten. In der Folge wurde der 10. Mai als „Tag des verbrannten Buches“ jährlich zu einem Treffpunkt vieler Autoren im Exil, vor allem in Paris, London, Mexiko-Stadt, Moskau, New York und Prag.

6. Überlieferung der „verbrannter Bücher“

Um das Überleben der in Deutschland verbrannten Bücher zu sichern, gründete der Schriftsteller Alfred Kantorowicz bereits 1934 mit Freunden in Paris die “Bibliothek der verbrannten Bücher“ (Deutsche Freiheitsbibliothek). Die bis 1940 zusammengetragenen über 11 000 Bände wurden nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris vollkommen zerstört. Kantorowicz gab dann nach dem Krieg im Gedenken an diese Bibliothek die Anthologie „Verboten und verbrannt“ heraus, in deren Vorwort er schreibt: „so waren die Autodafes vom 10. Mai der sichtbare Beginn der amtlich verfügten und mit terroristischen Mitteln durchgeführten Entgeistigung und Barbarisierung Deutschlands“.
Der Fischer Verlag gab in den 1980er Jahren eine Buchreihe „Verboten und verbrannt/ Exil heraus, in der er mindestens 25 Titel ungekürzt publizierte.
Das Moses Mendelsohn Zentrum in Potsdam hat zusammen mit dem Georg Olms Verlag zum 75. Jahrestag der Bücherbrennungen am 10. Mai 2008 die ersten 10 Bände einer „Bibliothek Verbrannter Bücher“ herausgebracht. In dieser Nachdruck-Edition sollen bis zu 120 Bände vorgelegt werden. Die Kassette wird dank zahlreicher Förderer an bis zu 4000 zum Abitur führende Schulen verschenkt. In der edition Phoenix veröffentlicht der Frankfurter Westhafen Verlag vergessene Bücher, die 1933 den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind und seither in Deutschland nicht wieder gedruckt wurden. Die Reihe wird fortgesetzt.
In der Universitätsbibliothek Ausgsburg können heute ca. 12 000 Bände von 120 verfolgten Autoren in einer ständig erweiterten Büchersammlung eingesehen und ausgeliehen werden.

7. Gedenken: Tag des (freien) Buches

Nach dem Krieg sprach am 10. Mai 1947 im Rahmen einer Gedenkfeier auf dem Opernplatz in Berlin der Verleger Peter Suhrkamp: „Die Flammen, die zuerst über den Bücherhaufen prasselten, verschlangen später im Feuersturm unsere Städte, menschliche Behausungen, die Menschen selbst. Nicht der Tag der Bücherverbrennung allein muss im Gedächtnis behalten werden, sondern diese Kette: von dem Lustfeuer an diesem Platz über die Synagogenbrände zu den Feuern vom Himmel auf die Städte.“
Dieser 10. Mai 1947 wurde zur Erinnerung in Berlin von Kulturvertretern sämtlicher vier Sektoren als der  „Tag des freien Buches“  begangen. Im sowjetischen Sektor und später in der DDR wurde er als solcher weitergeführt. In der Bundesrepublik wurde der 10. Mai im Jahr 1983- u.a. durch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels als „Tag des Buches“ wieder eingeführt.